Veranstaltung: | Landesparteitag 20./21.04.2018 |
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Tagesordnungspunkt: | 3 Anträge |
Antragsteller*in: | Malte Krüger (KV Kiel), Rasmus Andresen (KV Flensburg), Danny Greulich (KV Nordfriesland), Kerstin Mock-Hofeditz (KV Nordfriesland), Elisabeth Horstkötter (KV Kiel), Finn Petersen (KV Schleswig-Flensburg), Mayra Vriesema (KV Nordfriesland), Steffen Regis (KV Kiel) (dort beschlossen am: 23.03.2018) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 23.03.2018, 23:06 |
A18: Asymmetrie beenden und Europa eine Chance geben - Soziales Europa gestalten
Antragstext
Der Landesparteitag möge beschließen:
Eine gemeinsame europäische Sozialpolitik war bei der Gründung der Europäischen
Union (EU) nicht vorgesehen. Die Römischen Verträge von 1957 zielten auf die
Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und verfolgten damit rein
wirtschaftliche Interessen. Im Dezember 1989 verabschiedeten die Regierungschefs
der EG die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer*innen
als „feierliche Erklärung“, die im Laufe der Verhandlungen soweit verwässert
wurde, dass am Ende nur der „Anspruch auf ausreichende Leistungen und
Zuwendungen, die nach persönlicher Lage angemessen sind“ übrig blieb.
Dennoch wurden im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer wieder zögerliche
Versuche unternommen eine verstärkte Koordinierung der verschiedenen
Sozialpolitiken zu erreichen.
Jedoch erzeugen diese Koordinierungsprozesse durch Vergleiche „bester Praktiken“
einen subtilen, aber stetigen Druck auf die Mitgliedstaaten. Mittlerweile ist
das Europäische Sozialmodell durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus in
weiten Teilen stillgestellt und verdrängt worden, d.h. durch seine harten
sozialpolitischen Austeritätsauflagen, denen sich die von ihm „geretteten“
Krisenländer zu unterwerfen haben. Weil ein sozialpolitisches Leistungssystem
zur Sicherung aller EU-Bürger auf EU-Ebene nicht besteht, fallen in den am
stärksten betroffenen Krisenländern ganze Regionen und Generationen aus der im
„Europäischen Sozialmodell“ vorgesehenen „Inklusion“ heraus.
Die wirtschaftspolitische Steuerung in der EU basiert auf dem Europäischen
Semester, in dem der Europäischen Kommission eine Schlüsselrolle in der
Entwicklung und der Koordinierung der Politik zukommt. Die Kommission legt
Jahreswachstumsberichte vor und gibt länderspezifische Empfehlungen und
Empfehlungen im Rahmen der Durchsetzungsverfahren (Defizitverfahren und
Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten), die von umfangreichen
Recherchen des Kommissionspersonals unterlegt werden. Wenn die Kommission dabei
zur Einbindung sozialer Rechte verpflichtet wäre, könnten viele der fatalen
Entwicklungen, die bis jetzt in Bereichen wie dem Arbeitsmarkt beobachtet werden
konnten, vermieden werden. Eine solche Verpflichtung würde in der Vorbereitung
des Europäischen Semesters eine Analyse von Rechten bedeuten, die es der
Kommission ermöglicht, Maßnahmen, die diese Rechte verletzen könnten, zu
identifizieren.
Die hohe Arbeitslosigkeit von jungen Menschen ist eines der schwerwiegendsten
Probleme der EU, das ganz klar das Versagen der europäischen Eliten, die Zukunft
der Union zu sichern, offenbart. Während die Jugendarbeitslosigkeit in der
ganzen EU gestiegen ist, ist sie am schwerwiegendsten in jenen Staaten, die den
Bedingungen der Troika unterworfen wurden. Der rapide Anstieg der
NEETIndikatoren (not in Education, Employment or Training) verdeutlicht, dass es
neben den Arbeitslosen Millionen von jungen Menschen ohne Beschäftigung gibt,
die kaum oder keine Beziehungen zur Arbeitswelt haben und dass dieses Problem
noch dringender in der Gruppe der 25-34-Jährigen als der der 16-24- Jährigen
ist. Die Einführung der Jugendgarantie während der letzten EU-Kommission war ein
zu begrüßender, wenngleich sehr seltener Impuls der EU auf dem Gebiet der
Sozialpolitik, dessen finanzielle Ausstattung allerdings vollkommen unzureichend
für die am stärksten betroffenen Länder ist. Die Prioritäten sowohl in Bezug auf
die Jugendarbeitslosigkeit als auch in der europäischen Sozialpolitik insgesamt
müssen dringend neu gesetzt und in sozialen Rechten verankert werden:
Wettbewerbs- und Haushaltsregeln müssen an sozialen Zielen ausgerichtet sein,
nicht andersherum (Euromemorandum 2016, S. 3).
Die in einer gemeinsamen, rechtlich unverbindlichen Proklamation des
Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission auf dem EU-Sozialgipfel am
17. November 2017 in Göteborg verabschiedete Europäische Säule Sozialer Rechte
(ESSR) ist ein allgemein gehaltenes, unverbindliches Dokument , welches die
Bedrohungen des europäischen Sozialmodells durch Wettbewerbsrecht, europäische
Schuldenbremse, Troika und Defizit-Verfahren, die entweder gerichtlich oder mit
Sanktionen durchgesetzt werden können, nicht aufhalten wird.
Mit der neuen Regierung in Deutschland wird auch im Jahr 2018 nicht der Kern des
Problems angegangen. Die reine Fokussierung auf die wirtschaftliche Integration
mit weitreichenden Kompetenzen auf der europäischen Ebene steht im krassen
Gegensatz zu kaum vorhandener Kompetenz im Bereich der Sozialpolitik. Diese
Asymmetrie muss behoben werden. Wir Grüne wollen eine EU die nicht einseitig
Staaten nach ökonomischen Kriterien bewertet, sondern Armut in allen
Mitgliedsstaaten aktiv bekämpft. Wir wollen die ausgestreckte Hand von
Frankreichs Präsident Macron (Sorbonne Rede) annehmen und seine Vorschläge zur
sozialen Konvergenz positiv aufgreifen und konkrete Schritte zu einem sozialen
Europa gehen, was eine Annäherung der Sozialmodelle mit sich bringen würde.
Wir Grüne wollen allen Menschen in der europäischen Union soziale Absicherung
gewährleisten. Die Europäische Union soll Ort der sozialen Sicherheit werden und
so ihre Existenz neu begründen. Soziale Sicherheit ist moderne Friedenspolitik
und die EU ist das größte Friedensprojekt der Welt. Ohne soziale Sicherheit wird
dieses Projekt von Innen heraus in seiner Existenz bedroht. Es darf keine
Entwicklung dahin geben, dass europäische Staaten sich auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner berufen und somit eine Verschlechterung der Sozialstandards
durch die Hintertür ermöglichen.
Die Kritik der EU Gegner*innen gegen die Idee eines sozialen Europas weisen wir
zurück. Es geht in erster Linie nicht um die Angleichung unserer sozialen
Sicherungssysteme, sondern darum, dass sich Lebensverhältnisse europaweit
annähern und keine Europäer*in in Armut leben muss. Eine Angleichung auf dem
niedrigsten Sozialniveau lehnen wir ab, in einem ersten Schritt sprechen wir uns
für garantierte soziale Mindestrechte aus, die durch alle EU Mitgliedsstaaten
eingehalten und durch die EU unterstützt umgesetzt werden müssen.
Wir wollen Grenzpendler*innen, die in einem EU Land leben und in einem anderen
arbeiten lückenlos mit Arbeitnehmer*innen die in einem Land arbeiten und leben
gleichstellen. Die EU sollte Versicherungslücken durch Richtlinien schließen und
durch einen Sozialfonds Versicherungslücken schließen.
Wir fordern einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut in der europäischen Union
und die Unterstützung von öffentlicher Daseinsvorsorge in ökonomisch schwächeren
Mitgliedsstaaten. Eine einseitige Fokussierung auf ökonomische Kennzahlen bei
der Bewertung von Mitgliedsstaaten, wie bspw. bei Griechenland oder Spanien
lehnen wir ab.
Neben den Direktzahlungen aus den Haushalten der EU Mitgliedsstaaten für den EU
Haushalt, schlagen wir zur Finanzierung einer starken sozialen Säule vor, dass
die EU die Kompetenz zur Erhebung Steuern und Abgaben bekommt, um beispielsweise
eine europäische Vermögensabgabe zu erheben.
Wir wollen die Mobilität von Arbeitnehmer*innen innerhalb der EU ausbauen und
faire Beschäftigungsverhältnisse für alle erreichen. Wir begrüßen die Reform der
Entsenderichtlinie, die ein Durchbruch für soziale Rechte für entsandte
Arbeitnehmer*innen markiert. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wird endlich
Realität. Wir fordern, dass diese Richtlinie auch auf weitere Branchen wie das
Transportgewerbe erweitert wird und weitere Lücken bei der Versicherungspflicht
geschlossen werden.
Wir fordern die EU auf, Programme zur sozialen Arbeitsmarktpolitik wie durch den
ESF beizubehalten. Wir setzen uns dafür ein, dass in Schleswig-Holstein soziale
und Arbeitsmarktinstitutionen wie Frau und Beruf oder die Beratungsstellen für
Arbeitnehmer*innen aus anderen Staaten weiter unterstützt und ausgebaut wird.
Gute Beratungsstrukturen sind für einen grenzüberschreitenden und sozialen
Arbeitsmarkt wichtig.
Wir wollen soziale Innovationen ermöglichen und fordern durch die EU finanzierte
wissenschaftlich begleitete Modellprojekte zum bedingungslosen Grundeinkommen.
Ein sinnvoller Start, um die Entwicklung in der EU zu fördern, wäre ein EU
weites Sozialversicherungssystem, welches die soziale Sicherheit und die
Mobilität der Arbeitskräfte verbessert und gleichzeitig ein automatischer
Stabilisator wäre. Ein erster Schritt in diese Richtung, der bereits diskutiert
wird, könnte die Entwicklung einer Arbeitslosenversicherung auf der Ebene der EU
sein. Eine grundlegende europäische Arbeitslosenversicherung würde einen
begrenzten und planbaren kurzfristigen fiskalischen Impuls in konjunkturellen
Abschwungphasen geben. Mit ihrer automatischen und antizyklischen Wirkung kann
eine europaweite Arbeitslosenversicherung zugleich das Marktvertrauen in die
Währungsunion stärken und dadurch dazu beitragen, den sich wiederholenden
Teufelskreis aus Konjunkturabschwung, Austerität und innerer Abwertung in der
Eurozone zu vermeiden. Sie würde helfen, die Binnennachfrage und damit das
Wirtschaftswachstum in ganz Europa zu stärken, so der frühere EU Kommission für
Beschäftigung und Soziales und Integration Lazlo Andor (Euromemo 2016, S. 14)
Die Armutsbekämpfung ist ein erklärtes Ziel der EU, das in der 2020 Strategie
festgeschrieben ist. Eine europäische Grundsicherung ist ein konkretes
Instrument, um dieses Ziel umzusetzen. Denn viele EU-Staaten haben keine
ausreichende Mindestsicherung auf nationaler Ebene. Eine europäische definierte
Grundsicherung würde zu einer weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse
beitragen und die ökonomische Stabilität in der EU erhöhen. Wir fordern
europäische definierte Mindeststandards für die Grundsicherung in Form einer
Mindesteinkommensrichtlinie soll festschreiben, dass allen Menschen in EU-
Mitgliedstaaten ein Existenzminimum in angemessener Höhe zusteht, das sich an
60% des durchschnittlichen Einkommens des jeweiligen Landes orientiert. Außerdem
sollte die Richtlinie gemeinsame Prinzipien und Mindeststandards und eine
gemeinsame Definition von Armut festlegen. Die europäischen Strukturfonds können
die Grundsicherung dadurch flankieren, dass sie 20 Prozent ihrer Mittel in
Armutsbekämpfung und soziale Inklusion legen. (BAG Europa Positionspapier
September 2016, S. 6)
Als Grüne aus Schleswig-Holstein sind wir davon überzeugt, dass eine soziale
Integration auf Augenhöhe mit der wirtschaftlichen Integration der EU dazu
beitragen wird, dass das Spannungsverhältnis zwischen marktpolitischen und
sozialpolitischen Fragestellungen neu austariert werden kann. Um die
auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und einen
Unterbietungswettbewerb bei Löhnen, Steuern und Standards durch die
Mitgliedstaaten zu vermeiden, wollen wir die EU in ihrer sozialen Dimension
weiterentwickeln und langfristig eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen
Sozialmodelle in der EU erreichen.
Begründung
- erfolgt mündlich -
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